Mittwoch, 25. Januar 2012

Platons Philosophenstaat

Auf der Suche nach einem Staat, der im größtmöglichen Maße ein friedliches und glückseliges Zusammenleben der Bevölkerung garantiert, entwarf Platon einen Idealstaat unter philosophischer Herrschaft.

Das Fundament seines Staates bildet eine Ständeordnung, aus drei Klassen, deren Dasein und deren hierarchische Ordnung mit einer Seelenanalogie begründet wird.

Demnach besteht die menschliche Seele aus drei Teilen, die in unterschiedlichen Teilen des Körpers angesiedelt sind (Hier sei auf die Frage nach dem Sitz der Seele, welche in der Aufklärung diskutiert wurde, verwiesen). An unterster Stelle steht Epithymetikon, welches gewissermaßen die tierische Natur, Triebhaftigkeit und vor allem das Besitzstreben verkörpert. Da Besitz und damit verbunden die Sicherheit eines Individuums die erste Bedingung zur Staatenbildung ist, bildet das Epithymetikon auch die Basis der Seele.
In Brusthöhe befindet sich das Thymoeides, welches insbesondere den angemessenen und sinnvoll eingesetzten Mut beinhaltet. Dies impliziert also, dass der Seelenteil in seiner vollkommenen Form existiert, solange eine gewisse Besonnenheit und Furchtlosigkeit, nicht aber der Übermut beispielsweise an regierender Stelle steht. Dies vermag das Thymoeides aber nicht alleine zu bewerkstelligen, sondern bedarf der engen Verflechtung mit dem erhabensten und im Kopf ansässigen Seelenteil, dem Logistikon.
Als Quelle der Vernunft und oberste Instanz in der Seele, obliegt ihm die "Herrschaft". Seine Aufgabe besteht, in der Mäßigung der anderen beiden Seelenteile, um diese zum Guten zu wenden und umgekehrt besteht die Aufgabe der anderen Teile in der Hörigkeit gegenüber des Logistikons.

Nun lässt sich die eigentliche Ständegesellschaft ableiten. Sie lässt sich in Form einer Pyramide skizzieren, wobei der Nährstand (Epithymetikon) als Warenproduzent die Basis bildet, sich der Wächterstand (Thymoeides) darauf aufbaut und dem Staat dessen Wehrhaftigkeit verleiht und die Spitze letztlich der Philosophenkönig (Logistikon) bildet, der mit Vernunft über den Staat wacht und außerdem alle Menschen ihren zugehörigen Ständen zuordnet.

Aber woher nimmt der Philosophenkönig das Wissen über jeden Menschen? Er nimmt dies aus seiner Weisheit, die er im Zuge einer "Erleuchtung" über alle Dinge im Diesseits und im Jenseits gewann. Um dies zu verstehen, muss die Erziehung in Platons Staat genauer betrachtet werden.

Kurz nach ihrer Geburt, werden die Kinder den Eltern entrissen und in einer Art "Kindertagesstätte" großgezogen. (Damit soll verhindert werden, dass durch unterschiedliche Erziehungsideale unterschiedlich große Chancen entstehen.) Diese KITAS müssen Platons Forderung nach Chancengleichheit folgend, alle gleich gebaut, gleich ausgestattet und von gleich qualifizierten Erziehern betreut werden. Nach den ersten Lebensjahren erhalten die Kinder dann Unterricht in Musik und Gymnastik. Die beiden Fächer werden unterrichtet, das Logistikon und den Körper zu schulen. Da Musik bewiesenermaßen engen Bezug zur Mathematik und Logik hat und da ein überaus logischer Mensch auch überaus besonnen handelt (schließlich ist er sehr berechnend) ist dies also zur Vorbereitung auf eine eventuelle Existenz als Philosophenkönig leicht nachvollziehbar. Die Schulung des Körpers ermöglich natürlich gleichermaßen den Zugang zum Wächter - oder zum Nährstand.
In der Schule dann werden die Kinder in Arithmetik, Geometrie und Dialektik unterrichtet. All diese Fächer dienen lediglich dem Zweck, später all jene, denen diese Fächer nicht liegen, auszusieben, da sie zum Philosophenkönig schon einmal nicht geeignet sind. aber nicht allein die Fertigkeiten in der Mathematik bilden ein Kriterium. Auch wird immer wieder die mentale Stärke der Heranwachsenden geprüft, indem man sie widrigen Bedingungen oder Versuchungen aussetzt.
Bleiben die Philosophen schlussendlich übrig, werden diese vielen weiteren Prüfungen unterzogen und sobald sie ihre Lehrzeit beendet haben, sind sie zu 20 Jahren staatlichen Dienst verpflichtet, um sich erneut zu beweisen und um vor allem mit der Realität des Staates konfrontiert zu werden, den sie einst lenken wollen.
In der letzten Phase dann gelangt der Philosoph zum Ursprung der Welt (hier sie auf das Höhlengleichnis verwiesen), er erkennt die "Ideen" und die die Welt lenkenden Prinzipien, ist also "erleuchtet" und nun auch in der Lage das Wesen aller Menschen zu erkennen, die vor ihm stehen und sie den Ständen zuzuordnen.

So wie vom Philosophenkönig mentale Stärke, Weisheit und eine besonnene Regierung des Staates erwartet wird, erwartet man von den beiden anderen Ständen, ebenfalls vollkommene Erfüllung ihrer Aufgaben, nicht mehr und nicht weniger. Das ist besonders wichtig, denn das Überleben des Staates hängt von der Übereinkunft der Stände ab, die sich in ihren Aufgaben wieder finden und diese, aber auch NUR diese erstklassig erfüllen.

Der Staat lässt sich also als Körper begreifen, wobei jeder Stand nicht nur einen Seelenteil, sondern auch bestimmte Körperfunktionen übernimmt und repräsentiert. Die Einheit und Gleichheit von Seele, Körper, den einzelnen Teilen, garantiert die Glückseligkeit aller. Solch Gleichnis finden wir in den römischen Ständekämpfen und auch in abgewandelter Form bei Rousseau wieder.

Doch in Gegensatz zu Rousseau´s Staatsphilosophie ist Platons Idealstaat gemeinhin als Utopie gekennzeichnet, gerade wegen der Bedingung, dass sich jeder in seinem Element fügt, also auch jeder Mensch zu sich selber und seiner Berufung findet, wogegen es in Historie und Gegenwart
etliche Beispiele für das Gegenteil gibt.
Auch die Chancengleichheit, wenngleich ein nachahmenswerter Gedanke, kann unmöglich in Platons Radikalität umgesetzt werden. Zu viele Faktoren, wie zum Beispiel rein geographische, aber auch ideologische, sind an der Bildung eines Kindescharakters zu berücksichtigen. Man kann zum Beispiel nicht alle Kinder an einen Ort im Land schicken, damit alle die gleichen Voraussetzungen haben. Zudem würde das Zerreißen der Familie gleich nach Gründung dieser, ideologisch indoktrinierte Eltern voraussetzten, die ihre Kinder freiwillig hergeben, wann aber diese Umerziehen? Das würde bedeuten, eine Übergangsform zu schaffen, indem die Bevölkerung auf den Idealstaat eingestimmt wird, aber es müssten dort Praktiken eingesetzt werden, die dem Idealstaat entgegenstehen. Beispielsweise gewaltsame Familientrennung, Klassifizierung der Bevölkerung in Stände, durch Menschen, die noch weit von der geistigen Reife eines Philosophenkönigs entfernt sind. Dasselbe Problem haben auch die Existentialisten, wenn sie den Marxismus als ultimative Staatsform bezeichnen, aufgrund ihrer Philosophie aber den Weg dorthin nicht beschreiten können.

Letztendlich bleibt Platons Staat Idealstaat, der zwar auf rein anatomischen, wenngleich wissenschaftlich unbeweisbaren, Einsichten begründet, die Reife und Selbstfindung des Menschen fordert, die nur ein Bruchteil von uns jemals fähig ist zu erreichen. Aber auch historisch bedingt, ist uns Platons Staat inzwischen verweigert, lehrten uns die Aufklärer doch allesamt das Denken, von Verstand und Vernunft gebrauch zu machen. Würden wir als Aufgeklärte, als res cogitans, eine Monarchie, die absolute Hörigkeit gegenüber dem Oberhaupt und Stagnation unserer Fähigkeiten wollen, weil wir NUR das tun, was uns aufgetragen wird?
Kants KI verbietet uns das, aber auch ohne ihn, würde sich niemand mehr freiwillig dieser Staatsform anschließen, denn wir sind lieber ein unzufriedener Sokrates, als ein vollkommen glückliches Schwein.

1 Kommentar:

  1. Eine prägnante und vielseitige Darstellung. Dennoch möchte ich etwas Kritik (im Kantischen Sinne) üben.
    Ich würde die Anamnesis deutlich wirkungsmächtiger einschätzen als nur die Erkenntnis der Ideen und der Welt. Der sich Wiedererinnernde erschaut nicht irgendeine Idee, sondern die Idee des Guten, Wahren und Schönen, die zweite Transzendenz, das erste Prinzip neben der unbestimmten Zweiheit. Dadurch durchschaut er nicht nur die Welt, sondern wird selbst wahrhaftiger. Der Glanz der Idee des Guten färbt gewissermaßen auf den Philosophen ab. Deshalb spricht Platon ihm auch nahezu göttliche Eigenschaften zu und überlässt ihm die Herrschaft.
    Ein weiterer Aspekt ist eher ein begrifflicher: Nur weil ich eine Res Cogitans bin, also eine denkende Sache, muss ich noch nicht aufgeklärt sein oder es werden. Einem radikalen kartesischen Rationalisten wäre dies auch schwer möglich, erkennt er sich andere Res Cogitans nicht als seiend an.
    Deinem Urteil kann ich nur zustimmen, jedoch gebe ich zu bedenken, dass ein Utilitarist, von denen es ja sehr viele gibt, durchaus lieber glückliches Schwein als unglücklicher Sokrates wäre, sofern ihm ein Rückwechsel von Sokrates zum Schwein überhaupt ohne Erinnerungen möglich wäre.

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